Der Anteil elektrifizierter Fahrzeuge ‒ Hybrid- und 100 % Elektrofahrzeuge ‒ an den Neuwagenverkäufen steigt Monat für Monat weiter an, doch der Anteil dieser Fahrzeuge am Gesamtbestand bleibt marginal. Laut den Experten des Instituts BAK Economics werden in der Schweiz im Jahr 2035 immer noch fast 3 Millionen Verbrennungsmotoren auf den Strassen unterwegs sein.
Das unabhängige Wirtschaftsforschungs- und Beratungsinstitut BAK Economics erstellt jedes Jahr einen Konjunkturausblick für die Automobilbranche in der Schweiz. In einem Sonderbericht haben sich die BAK-Ökonomen mit der Elektromobilität und insbesondere mit ihrer langfristigen Marktdurchdringung befasst, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidungen, den Verkauf von Verbrennungsmotoren in einigen europäischen Ländern bis 2030-2040 und in Norwegen sogar bis 2025 zu verbieten.
Zur Erinnerung: In den ersten beiden Monaten des Jahres 2022 machten elektrifizierte Fahrzeuge (Hybrid- und Elektrofahrzeuge) in der Schweiz mehr als 23 % der Neuzulassungen aus. Dies entspricht in etwa den Werten unserer Nachbarn Deutschland und Frankreich, liegt aber immer noch weit unter den 65-70 % in Norwegen. In Norwegen werden diese Antriebsarten dank des Geldsegens aus dem Verkauf kohlenstoffhaltiger Energieträger massiv subventioniert.
Der Marktanteil von reinen Elektrofahrzeugen in der Schweiz beträgt im Januar und Februar 2022 etwa 15 % der Verkäufe, bei einem Anteil am Gesamtbestand von etwa 1,5 % (6 % mit Hybridfahrzeugen) gemäss den jüngsten Erhebungen des Bundesamtes für Statistik vom 30. September 2021
3,2 Millionen Verbrennungsmotoren im Jahr 2035 im Umlauf
Die Studie von BAK Economics geht von der Annahme aus, dass der Marktanteil von Elektrofahrzeugen bis 2023 auf 20 %, bis 2030 auf 50 % und bis 2035 sogar auf 100 % ansteigen wird.
Somit werden im Jahr 2030 bei einem Bestand von etwa 5 Millionen Fahrzeugen 17 % elektrisch angetrieben sein. Die restlichen 4,15 Millionen Fahrzeuge werden also immer noch aus Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bestehen, einschliesslich Hybridfahrzeugen. Im Jahr 2035 wird der Anteil der rein elektrisch betriebenen Fahrzeuge am Bestand unter der günstigsten Annahme bestenfalls 36 % betragen. Damit würden immer noch fast 3,2 Millionen Verbrennungsmotoren auf den Strassen in der Schweiz unterwegs sein.
Zum Vergleich: In Norwegen, das als Vorreiter beim Übergang zur Elektromobilität gilt, begann man Anfang der 1990er Jahre mit der schrittweisen Einführung von Anreizen für die Elektromobilität. Einige Anpassungen wurden Ende der 2010er Jahre vorgenommen, als sich die Verkaufszahlen aufgrund der grösseren Modellvielfalt beschleunigten. Derzeit gibt es zwölf Anreize, die von der Befreiung von Importsteuern bis hin zum kostenlosen Parken in der Stadt oder dem erlaubten Fahren auf Busspuren reichen. Nach mehr als 30 Jahren Förderung sind in Norwegen 470.000 reine Elektrofahrzeuge zugelassen, was etwa 17 % des Fahrzeugbestandes entspricht. Ausschliesslich mit Verbrennungsmotoren angetriebene Benzin- und Dieselfahrzeuge ‒ also ohne Hybridfahrzeuge ‒ stellen mit fast 80 % der 2,8 Millionen Pkw auf Norwegens Strassen immer noch eine überwältigende Mehrheit dar. Laut ACEA (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles) liegt das Durchschnittsalter des norwegischen Fahrzeugbestandes bei 10,7 Jahren, während das Durchschnittsalter des Schweizer Fahrzeugbestandes 9 Jahre beträgt. Auch wenn der norwegische Staat enorme Anstrengungen unternimmt, sowohl bei der Infrastruktur als auch bei den Anreizen, ist der Übergang zur Elektromobilität ein langer, sehr langer Weg.
Welche Strategien für die Zukunft?
Die Folgen der Covid-Krise, der Halbleiterknappheit und des jüngsten russisch-ukrainischen Konflikts belasten die Automobilbranche mit anhaltenden Lieferstörungen. Die breite Einführung der Elektromobilität in unseren Breitengraden stösst noch auf zahlreiche Hindernisse, wie z. B. die Verfügbarkeit einer funktionierenden und effizienten privaten und öffentlichen Ladeinfrastruktur oder die immer noch hohen Preise für Elektrofahrzeuge.
Indessen kommen Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe ins Spiel. Beim Einsatz dieser „sauberen“ Kraftstoffe sind mehrere Szenarien denkbar, wobei die Problematik der Herstellung in ausreichender Menge und zu akzeptablen Kosten im Vordergrund steht. In der Schweiz werden jährlich rund 6 Mrd. Liter Kraftstoff verbraucht. Eine praktische Lösung würde darin bestehen, den synthetischen Kraftstoff mit normalem Kraftstoff zu mischen. Die Infrastruktur ist vorhanden, Anpassungen sind kaum erforderlich.
Der Aufschwung des Wasserstoffs für den Individualverkehr ist derzeit noch hypothetisch. Die europäischen Hersteller bevorzugen diesen Antrieb eher für den Güterverkehr und entwickeln Lösungen für schwere und leichte Nutzfahrzeuge. Entsprechend müsste das Netz der Wasserstofftankstellen für den Individualverkehr noch viel weiter ausgebaut werden.
Schliesslich ist auch der Bereich des Kundendienstes mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, was derzeit noch nicht so deutlich zeigt. Die Berufe in der Automobilbranche entwickeln sich mit dem hohen technischen Anforderungsniveau, das die allgegenwärtige Elektronik an Bord von Fahrzeugen, insbesondere Elektrofahrzeugen, erfordert, tiefgreifend weiter. Die Vielzahl der Antriebstechnologien erfordert, dass die Kenntnisse der Fachleute auf dem neuesten Stand gehalten werden, was sowohl in finanzieller als auch in logistischer Hinsicht eine grosse Investition darstellt. Umgekehrt verlängern sich wegen der Einfachheit der mechanischen Komponenten in einem Elektrofahrzeug die Wartungsintervalle. Höhere Kosten, aber weniger Arbeit: Auf lange Sicht werden die kleinen Werkstätten dies möglicherweise nicht bewältigen. Die Energiewende wird auch auf sie Auswirkungen haben, die sie im Blick behalten sollten, wobei der Fortbestand des Verbrennungsmotors sicher dazu beitragen wird, die Umwälzung abzufedern.
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